Internationales Doktorandenkolleg Philologie
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Dissertationsprojekt Marcel Moser

Ex Aegyptiis ad Graecas rationes – Der sprachliche Übergang in der internen Buchhaltung des Soknopaiostempels von Dimê im 2./3. Jhd. n.Chr. [Arbeitstitel]


Fach: Ägyptologie
Betreuer/innen: Prof. Dr. Martin Andreas Stadler (JMU), Prof. Dr. des. Matthias Stern (LMU)

Das Griechische war in Ägypten spätestens bis zur Kaiserzeit die vorherrschende Verwaltungssprache, was auch für die Tempel galt. In diesem Zusammenhang stellt der Soknopaios-Tempel von Soknopaiu Nesos (heute: Dimê) eine große Ausnahme dar, da dort noch bis weit in das zweite Jahrhundert n.Chr. hinein das Demotische weitergepflegt wurde, unter anderem für die tempelinterne Buchhaltung. Das am Nordrand der Fayum-Oase gelegene Soknopaiu Nesos liegt heute in der Wüste und wurde nie überbaut, weswegen sich eine günstige Fundsituation ergeben hat: Zahlreiche griechische und demotische Papyri sind noch erhalten und stellen damit das wichtigste bilinguale Papyruscorpus aus frührömischer Zeit dar.
In den letzten 30 Jahren wurden in der Erschließung der internen Buchhaltung des Soknopaios-Tempels wichtige Fortschritte gemacht, da insbesondere Textquellen der demotischen Seite erstmals angemessen ediert wurden. Hierzu gehören etwa die grundlegenden Bände von Lippert / Schentuleit über die Ostraka, Quittungen sowie die Urkunden des Tempels hervorgingen. Ein weiterer Meilenstein in der Aufarbeitung des dokumentarischen Materials aus Dimê ist die Projektdatenbank DimeData, die seit Anfang 2023 öffentlich verfügbar ist. Diese Publikationen erlaubten einen ersten Einblick in die internen Vorgänge des Tempels aus ägyptischer Perspektive. Zwar waren bereits zuvor zahlreiche dokumentarische Texte aus der griechischen Verwaltung bekannt, allerdings ermöglichten diese zumeist nur einen externen Blick auf die ökonomische Dimensionen des Tempels.
Während bisher also vor allem wichtige Editionsarbeit sowie die anschauliche Präsentation der Ergebnisse für weitere Recherchen Hauptaugenmerk in der Arbeit mit den Abrechnungen war, blieb eine eingehende Analyse von Ergebnissen bisher eher die Ausnahme. Beispielsweise wurde die kritische Zeit des Übergangs von der demotischen Buchhaltung zur griechischen im Laufe des 2./3. Jhd. n.Chr. bisher kaum näher betrachtet, zumal auch noch nicht alle nötigen Quellen hinreichend ediert sind. Auf demotischer Seite gibt es etwa einige Abrechnungen, die in die Zeit des Antoninus Pius (138–161 v.Chr.) zu datieren sind und damit zu den spätesten Zeugnissen der demotischen Buchhaltung des Soknopaios-Tempels gerechnet werden können. Dabei existierte der Tempel selbst noch weitere 80 Jahre nach diesen letzten Abrechnungen in ägyptischer Sprache.
Ziel des vorliegenden Dissertationprojekts soll es also sein, die Abrechnungsdokumente des Tempels von Soknopaiu Nesos in demotischer und griechischer Sprache umfassend zu vergleichen, um auf diesem Wege zu klären, wo Unterschiede und Interdependenzen zwischen den beiden Verwaltungssprachen liegen, und festzustellen, ob sich im erhaltenen Material Hinweise darauf finden, in welchen Schritten die griechische Sprache das Demotische in der Tempelverwaltung abgelöst hat.
Ebenfalls gilt es, endgültig zu klären, ob interne Dokumente des Tempels in griechischer Sprache überhaupt nachgewiesen werden können, da solche bisher nicht bekannt sind. Das Dissertationsvorhaben soll diesen Fragen nachgehen und dabei einen interdisziplinären Ansatz für die Abrechnungstexte aus Dimê verfolgen: einerseits aus der Richtung der ägyptisch-demotischen Papyrologie und andererseits aus derjenigen der griechischen Papyrologie.
Zur Realisierung dieses Ziels wurde eine Auswahl an etwa 20 relevanten Texten getroffen, die für das genannte Vorhaben besondere Relevanz haben. Hierbei werden zum Einen bereits bestehende Editionen von Texten in Betracht gezogen, die sich relativ spät datieren lassen, sei es durch eine eindeutige Datierung, oder sei es durch interne oder paläographische Hinweise. Zum Anderen sind aber auch Erst- und Neueditionen griechischer sowie demotischer Texte Teil der Arbeit, sofern sie für das Dissertationsvorhaben relevant sind. Im Zuge dessen gibt es eine repräsentative Auswahl an verschiedenen Abrechnungstypen. Eng damit verbunden erfolgt im Rahmen der Dissertation auch der Versuch, eine gewisse Typologie der Abrechnungstexte aus Soknopaiu Nesos zu formulieren. Eine derartige Typologisierung ist für die weitere Erforschung der Tempelbuchhaltung wegweisend, zumal bisher keine Einteilung der Abrechnungstexte abseits des Listenformats existiert, weder für Soknopaiu Nesos oder für eine andere Region von Ägypten, noch für das Demotische oder das Griechische.
Methodisch ist das Dissertationsprojekt in drei Phasen untergliedert: Im ersten Schritt werden relevante Abrechnungen in griechischer und demotischer Sprache identifiziert, wozu die Wiener, Berliner und Londoner Sammlungen durchsucht werden, in denen weiterhin zahlreiches unpubliziertes Material aus Dimê vorhanden ist. Bisher wurden auch auf griechischer Seite einige Papyri, die der Buchhaltung zuzuschreiben sind, nicht bearbeitet, da sie sich etwa auf den Versoseiten demotischer Papyri befinden.
Im zweiten Schritt geht es nach dem erfolgreichen Auswahlprozess darum, die neu identifizierten Papyri und diejenigen mit einer älteren Edition zu erschließen, das heißt die ausgewählten Papyri idealerweise vor Ort zu untersuchen, zu edieren und entsprechend zu kommentieren. Dieser Schritt ist notwendig, um eine gut fundierte Quellenbasis für weitere Vergleichszwecke aufzubauen. Die edierten Texte sind Teil der Dissertation. Die neuen Editionen werden außerdem in enger Kooperation mit der Projektdatenbank von DimeData so aufbereitet, dass sie nach Erscheinen der Dissertation direkt dort verfügbar sind. Zusätzlich ist auch – als besonderes Anliegen der Arbeit – ein gesondertes Glossar an Fachtermini in Sachen Buchhaltung vorgesehen, das die Entsprechungen in griechischer und demotischer Sprache verzeichnet.
Sobald alle Editionen abgeschlossen sind, erfolgt in einem dritten Schritt der Vergleich mit zugehöriger Analyse. Hierzu wird zuerst eine Typologie der Abrechnungen vorgenommen, um Abrechnungen gleicher Art in griechischer und demotischer Sprache angemessen vergleichen zu können. Diese Typologisierung schlägt sich unter anderem in zwei allgemeinen Kapiteln zu den demotischen und griechischen Abrechnungen nieder, in denen beide Textcorpora zuerst gesondert betrachtet werden, bevor vergleichende Untersuchungen vorgenommen werden. Weitere Kapitel widmen sich den vergleichenden Studien der Texte. Hierzu zählen Sektionen zu Inhalt und Struktur, zur Paläographie sowie zur Grammatik und Lexikographie der Texte. In den zusammenfassenden Kapiteln der Analyse geht es um den Niedergang des Schrifttums in den späten demotischen Abrechnungen sowie um mögliche demotische Elemente in den griechischen Abrechnungen als Zeichen des Übergangs. Nach Abschluss der Dissertation sollen sämtliche Ergebnisse Eingang in die Datenbank von DimeData finden. Neben den Editionen zählen hierzu auch neue sowie um die griechischen Pendants erweiterte Erläuterungen zu den wichtigen Termini aus der Buchhaltung.
Ein besonderes Anliegen des obigen Dissertationsprojekts besteht darin, die eher stockende Zusammenarbeit zwischen demotischer und griechischer Papyrologie zu fördern und Brücken zwischen den beiden Fächern zu schlagen. Hierzu bietet sich die oben skizzierte Fragestellung in besonderem Maße an, bezieht sie doch beide Fachdisziplinen in gleichem Maße ein.