Dissertationsprojekt Korinna Gonschorek
Celtic Mythology in English and German Medieval Literature
Fach: Anglistik
Betreuer/innen: Prof. Dr. Claudia Olk (LMU), Prof. Dr. Michael Waltenberger (LMU)
Das im Mittelalter häufig genutzte Erzählschema der gestörten Mahrtenehe orientiert sich an einem festen Muster: Der Held begegnet einer Fee, oft durch deren List, und verliebt sich augenblicklich. Sie erlegt ihm ein Tabu auf, welches er bricht, und sie verlässt den Geliebten. Dieser muss sich anschließend durch Heldentaten bewähren, mit dem Ziel, ihre Gunst wiederzuerlangen und sie zurückzugewinnen. Der Ursprung dieses Erzählschemas liegt in der keltischen Mythologie, aus der zahlreiche Erzählungen über Feen und andere übernatürliche Wesen überliefert sind. Mittelalterliche Autoren bedienten sich dieses reichen Motivkomplexes und verarbeiteten den Stoff in ihren Texten. Prägend ist hierbei eine fast vollständige Neubewertung der höfischen Ideale, Normen und Semantiken, was nur durch eine Entmenschlichung der Protagonistin und die räumliche Trennung der Feenwelt von der menschlichen Welt ermöglicht wird. Durch diese akzentuierte Darstellung des Anderen kann überdiesvon höfischen Moralvorstellungen Abstand genommen werden. Dies ist auch der Fall im altfranzösischen Versroman Partonopeus de Blois, der sich europaweit größter Beliebtheit erfreute und in unterschiedliche Volkssprachen übertragen wurde.
Im Rahmen des Dissertationsprojekts untersuche ich die Verarbeitung keltischer mythologischer Elemente im Partonopeus. Aus den zahlreichen Adaptationen, unter anderem ins Isländische, Niederländische und Italienische, werden in meinem Projekt die mittelenglische undmittelhochdeutsche Fassung untersucht. Der Fokus dieser Arbeit liegt nicht auf einer motivgeleiteten Analyse, wie sie bereits umfassend geleistet wurde. Stattdessen soll der keltische Mythos als Denkmuster aufgefasst und sein Einfluss auf struktureller Ebene untersucht werden. Grundlage hierfür bietet Ernst Cassirers Mythenauffassung, wie er sie in der Philosophie der symbolischen Formen formuliert. Er betrachtet den Mythos als eine Form des symbolischen Ausdrucks, der die menschliche Erfahrungswelt strukturiert und ihr Sinn verleiht. Diese theoretische Perspektive ermöglicht es, die keltische Mythologie in Partonopeus de Blois nicht nur als eine bloße Erzählung zu betrachten, sondern als ein komplexes System von Symbolen und Bedeutungen zu analysieren. Die begleitende Frage ist, inwiefern traditionell keltische Erzählmuster noch die Adaptationen prägen und welche Auswirkungen ein aktiver Eingriff des Übersetzers auf die neu entstandenen Texte hat.
Der altfranzösische Partonopeus de Blois entstand um 1170 und folgt dem Schema der gestörten Mahrtenehe. Zwar ist die Fee Melior bereits hier stark humanisiert, doch weist sie typische Charakteristika der keltischen Fee auf. Ebenso lässt sich ihr Königreich als keltische Anderwelt typisieren. Ausgehend von der Verarbeitung keltischer Mythologie im altfranzösischen Text rücken anschließend Konrads von Würzburg Partonopier und Meliur, welcher ca. 100 Jahre nach der altfranzösischen Fassung geschrieben wurde, und die mittelenglische Adaptation Partonope of Blois aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts in den Vordergrund. Obwohl beide Adaptationen dem altfranzösischen Text auf der Handlungsebene weitgehend folgen, stechen einige Abweichungen auf der narrativen Ebene deutlich hervor, insbesondere in der Verarbeitung mythischer Elemente.
Der mittelenglische Text nimmt häufig explizit Bezug auf die altfranzösische Vorlage – meist im Kontext der topischen Wahrheitsbekundungen. Dennoch werden zentrale Textstellen durch eine bewusste Änderung neu bewertet. Deutlich wird dies beispielsweise zu Beginn von Partonopes Reise in Meliors Anderwelt, wenn Partonope ein herrliches Schiff sieht, auf dem er sich schlafen legt und welches ihn letztlich in Meliors Reich bringt. Während im altfranzösischen Text deutlich wird, dass das Schiff verzaubert ist, wird diese Assoziation im Mittelenglischen auf Partonopes Wahrnehmung übertragen. Der Erzähler hält sich bedeckt in Bezug auf die Beschreibung der Natur des Schiffes. Stattdessen bestimmt der Held, der um sein Lebenfürchtet, dass das Schiff verzaubert sein muss, ebenso wie die anderweltliche Stadt, in die er gelangt. Auf diese Weise bewegt sich der Text auf einer Ebene der Unsicherheit: Die Konzepte von Anderwelt und Fee werden nicht so problemlos akzeptiert und integriert wie es im altfranzösischen Text der Fall ist. Dennoch bleiben sie präsent, indem sie in die Wahrnehmungswelt des Protagonisten eingefügt werden. Zugleich wird durch äußerst ambige Beschreibungen seitens des Erzählers mit der Darstellung des Anderweltlichen gespielt.
Auch Konrad nimmt einige zentrale Änderungen vor. Am deutlichsten treten diese in der Demythifizierung der Anderwelt und deren Herrin zutage. Zwar bleiben einige Elemente, die für den Handlungsverlauf notwendig sind, erhalten, doch wird vieles in einen stark christlichen Kontext gesetzt. Besonders deutlich wird dies beispielsweise bei der sogenanntem Turmschau, bei der Partonopier Meliurs Land in seiner Ganzheit betrachten kann. Während dies im altfranzösischen Text lediglich der Darstellung des Reichtums der Fee dient, kreiert Konrad ein elysisches Land, welches starke Ähnlichkeiten mit dem biblischen Paradies aufweist. Konrad nimmt so an einigen zentralen Textstellen betont Abstand zu der Welt des Magischen und Übernatürlichen, welche der keltischen Mythologie entspringt, und fügt die Geschichte in einen christlichen Kontext ein. Dennoch wird deutlich, dass einige Spannungen zwischen dem Mythischen und dem christlichen Gedankengut nicht zufriedenstellend gelöst werden können, ohne dass auf der Handlungsebene erhebliche Einbußen in Kauf genommen werden müssen. So ist beispielsweise die gemeinsame Nacht zwischen dem Helden und seiner Dame, die den christlich-höfischen Moralvorstellungen widerspricht, für die weiterführende Handlung notwendig. Dementsprechend bewegt sich Konrads Text stets auf einem schmalen Grat zwischen Erhalt des Mythischen und Demythifizierung.
Durch einen komparativen Ansatz hoffe ich zu zeigen, wie produktiv Elemente der keltischen Mythologie in mittelalterlicher Literatur waren. Durch den konsequenten philologischen Abgleich der Texttraditionen können Erkenntnisse gewonnen werden, die über eine bloße Motivgeschichte oder die Umsetzung von Erzählmustern hinausgehen. Zwar findet sich im Textkomplex die Tendenz einer Demythifizierung bereits im altfranzösischen Text, doch diese wird in unterschiedlichem Ausmaß sowohl in der mittelenglischen als auch in der mittelhochdeutschen Adaptation noch weitergeführt. Dennoch bleiben symbolische Formen des Mythischen erhalten und werden durch kulturell bedingte Anpassungen und Änderungen auf andere literarische Traditionen übertragen.