Dissertationsprojekt Jonas Müller
Die galatische Kontroverse im Zusammenhang des frühen Judentums
Die Untersuchung verortet die polemische Auseinandersetzung des Apostels Paulus mit seinen „Gegnern“ im Text des Galaterbriefes innerhalb des weiteren Kontextes des frühjüdischen Diskurses zur Stellung des vormosaischen Gesetzes anhand der Figur des Erzvaters Abraham. Demnach steht folgende Forschungsfrage im Zentrum: Welche theologische Positionierung der Gegner des Paulus und welche Struktur der Auseinandersetzung lässt sich angesichts des vielfältigen Traditionsraumes des Judentums zur Zeit des zweiten Tempels rekonstruieren?
In der Geschichte der Frage nach einer Identifizierung der Gegner des Paulus und einer Rekonstruktion der Situation in Galatien wurden bereits viele verschiedene Gegnerprofile vorgeschlagen. Die vorwiegend genutzte Methode war dabei das sogenannte „Mirror-Reading“. Da nur der Brief des Paulus und damit nur eine Sicht auf die Situation und die Auseinandersetzung dem historischen Zugriff zur Verfügung steht, versucht das „Mirror-Reading“ aus dem erhaltenen Text die Position der Gegner herauszulesen und aus polemischen Wendungen eine belastbare Rekonstruktion der Streitsituation zu entwerfen. Diese Methodik ist aber keineswegs fehlerfrei, da sie ein großes Maß an wissenschaftlicher Imagination erfordert.
Daher soll in dieser Untersuchung aus den methodischen Fortschritten innerhalb des „Mirror-Readings“ und aus den Irrwegen desselben lernend eine vorsichtigere Herangehensweise gewählt werden. Dabei wird der Text des Galaterbriefs im Zentrum stehen, um daraus anfänglich eine erste Struktur der Auseinandersetzung zu erheben. Es sollen die zentralen Themen und sprachlichen Strukturen der Kontroverse in Form einer Plausibilitätsstruktur erfasst werden. Diese Plausibilitätsstruktur bietet einen belastbaren thematischen Ausgangspunkt, um in einem zweiten Schritt Texte aus dem frühen Judentum herbeizuziehen, die ebenfalls an den thematischen Diskursen des Galaterbriefes partizipieren. Bevor die Leerstellen, die in jeder Rekonstruktion der Situation in Galatien entstehen, gefüllt werden sollen, wird zunächst durch frühjüdische Texte ein traditionsgeschichtlicher Diskursraum eröffnet, von dem aus sich eine neue und vielversprechende Perspektive auf den Galaterbrief gewinnen lässt. Voraussichtlich werden dabei die Diskurse über die Beschneidung in Kombination mit der Bedeutung des prämosaischen Gesetzes und der Figur Abrahams als Verstehenszusammenhang der Auseinandersetzung dienen. Durch die sprachlich (Terminologie der Beschneidung) und chronologisch (prämosaische Geschichte Israels) ausgewiesenen Suchkriterien wird es möglich sein eine begründete Auswahl an Texten zu treffen.
Dabei wird an zentraler Stelle die Arbeit mit schon bekannten, aber auch neuen Handschriften zu dem für diese Fragestellung zentralen Text des Jubiläenbuches für die Untersuchung gewinnbringend angewandt. Die Varianz und Dynamik der handschriftlichen Überlieferung als Bereicherung für den philologischen Zugang zu dem Bedeutungshorizont des Textes Jubiläenbuches dienen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass diese Untersuchung durch die Behandlung von unterschiedlichen Texten aus vielseitigen kulturellen Milieus des frühen Judentums eine für die neutestamentliche Forschung erweiternde Perspektive auf die Frage nach der galatischen Kontroverse liefern kann. Somit wird sich voraussichtlich ein tieferes Verständnis der Auseinandersetzung ergeben, dass der traditionsgeschichtlichen Kontextualisierung in den Diskursen des frühen Judentums, sowohl auf der Seite des Paulus, als auch auf der Seite seiner Gegner gerecht werden kann.
Betreuer: Prof. Dr. Loren Stuckenbruck (LMU)