Internationales Doktorandenkolleg Philologie
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Dissertationsprojekt Sophie Florence

Orality and Literacy in Mahāyāna Sūtras and the Mystery of the ‘Missing’ Urtexts


Die moderne Wissenschaft hat festgestellt, dass für eine Reihe von Mahāyāna-Sūtras mehrere verschiedene Versionen nachverfolgt werden können, die zeitlich und räumlich zusammenfallen. Gregory Schopen und andere haben daher vorgeschlagen, dass bestimmte Mahāyāna sūtras keinen Urtext hatten. Unabhängig davon, ob es tatsächlich keinen Urtext gab oder nicht, ist es wohl produktiver, davon auszugehen, dass die verfügbaren Belege zu Situationen führen, in denen wir mit unseren derzeitigen Methoden keinen Urtext rekonstruieren können. Dies wirft verschiedene Fragen auf. Warum könnten wir nicht in der Lage sein, einen Urtext zu rekonstruieren? Mit wie vielen verschiedenen Arten von Situationen sind wir konfrontiert? Welche historischen Faktoren liegen solchen Situationen zugrunde? Können wir in einigen Fällen wichtige Fakten über Textgeschichte und Textkulturen ableiten? Es gibt wahrscheinlich weder einen einzigen Grund dafür, dass Urtexte fehlen, noch eine einzige Methode, die auf alle Fälle anwendbar ist. Die Vielfalt unserer Texte lässt darauf schließen, dass die Dynamik der Textproduktion sehr unterschiedlich war. Es ist daher ebenso wahrscheinlich, dass die Situationen, die zu fehlenden Urtexten führen, ebenfalls vielfältig sind. Unser Ziel sollte es sein, eine Typologie der Texte ohne Urtexte zu erstellen und diese mit einer Typologie der Gründe zu korrelieren, aus denen sich Urtexte der Rekonstruktion entziehen könnten.


In meinem Dissertationsprojekt werde ich ein Mahāyāna sūtra untersuchen, das so zirkuliert und vervielfältigt wurde, dass es nicht möglich ist, einen Urtext mit traditionellen textkritischen Methoden aufzuspüren, nämlich das Ratnaketuparivarta. Ich werde eine "synoptische Ausgabe" des Ratnaketuparivarta aus mehreren Sanskrit-Fragmenten erstellen und mich dabei auf Übersetzungen ins Chinesische und Tibetische beziehen. Mit dieser Ausgabe möchte ich die Aufmerksamkeit auf die Varianzmuster zwischen den Manuskriptversionen lenken. Ich hoffe, dass dieses Projekt es mir ermöglicht, einige für die Verbreitung von Mahāyāna-Texten spezifische Dynamiken aufzuzeigen und eine Reihe von Faktoren zu identifizieren, die dazu beitragen könnten, dass die von Philologen gejagten Urtexte verschwinden.

Betreuer: Prof. Dr. Jens-Uwe Hartmann (LMU)