Dissertationsprojekt Elisabeth Seidel
Netzwerke der Musikpublikation im süddeutschen Raum, ca. 1550-1610
Musikdrucke können als „carrier of relationships“ (Natalie Zemon Davis in Society and Culture) betrachtet werden und damit mehr als die in ihnen enthaltene Idee – den Notentext – kommunizieren. Kate van Orden betont in ihrer Monographie Materialities: Books, Readers, and the Chanson in Sixteenth-Century Europe die Bedeutung dieser Annahme für die Forschung zum Musikdruck der Frühen Neuzeit.
Und so liegt der Ansatz, Musikdrucke als „carrier of relationships“ zu verstehen, auch dem Dissertationsprojekt „Netzwerke der Musikpublikation im süddeutschen Raum im Zeitraum von ca. 1550–1610“ zugrunde. Ausgehend von der Leitfrage „Wer druckte was bei wem – damit wo – und warum?“ sollen lokale und überregionale Netzwerke von Akteur:innen des Musikdrucks – Drucker:innen, Komponist:innen, Herausgeber:innen, Finanziers – erschlossen werden, die wiederum Rückschlüsse auf politische, religiöse, gesellschaftliche und musikpraktische Einflüsse auf den immer dichter werdenden deutschen Musikalienmarkt zulassen.
Das zentrale Quellenmaterial bilden dabei die Musikdrucke selbst. Sie werden als in sich multimedial verstanden: Zum enthaltenen Noten-Repertoire treten Paratexte wie Titelblätter, Widmungen in Brief- oder Gedichtform oder abgedruckte Druckprivilegien. Zusätzlich müssen auch drucktechnische Aspekte wie beispielsweise die Größe und Gestalt der Typen untersucht werden. Und sogar kleinste notationstechnische Details können möglicherweise erlauben, ‚zwischen den Zeilen‘ (oder: Notenzeilen) zu lesen und auf diese Weise beispielsweise Rückschlüsse auf die Zielgruppe und den Verwendungszweck eines Drucks, aber auch auf Spezifika einer Offizin ziehen zu können. Dass es Lesarten und Unterschiede in der Aufbereitung des Notentexts bei Musikdrucken gibt, zeigt wiederum, dass wir es in gewisser Weise auch bei den Akteur:innen des frühen Musikdrucks – es waren tatsächlich Männer und Frauen – mit Menschen zu tun haben, die musik-philologisch gearbeitet haben und gerade dadurch bewusst oder unbewusst zu Kommunikator:innen geworden sind.
Die Aufarbeitung und Zugänglichmachung der Forschungsdaten soll unter anderem in Form einer digitalen Netzwerkanalyse mit Geovisualisierung geschehen, die Verbindungen von Institutionen und Personen durch einzelne Drucke oder Gruppen von Drucken (in Verbindung mit weiteren Quellen wie Ämterbüchlein, Rechnungen und Urkunden) in räumlicher und zeitlicher Dimension visualisieren kann.
Betreuer: Prof. Dr. phil. Hartmut Schick (LMU)